In einer Zeit, in der der österreichische Immobilienmarkt von demografischen Verschiebungen und wirtschaftlichen Unsicherheiten geprägt ist, bietet unser aktuelles Interview mit Matthias Reith (Senior Ökonom bei Raiffeisen Research (RBI) einem ausgewiesenen Experten im Bereich Immobilien und Volkswirtschaft tiefe Einblicke in die komplexen Herausforderungen und Chancen. Der Experte erläutert detailliert, wie sich die Nachfrage nach Wohnraum regional stark unterscheidet, die aktuelle Wohnbaukrise zu einer Leistbarkeitskrise geworden ist, und welche Unterschiede zwischen der jetzigen Situation und der Finanz- und Immobilienkrise 2008 bestehen. Zudem werden die kürzlich von der Bundesregierung vorgestellten Maßnahmen zur Bewältigung dieser Krise sowie deren Auswirkungen auf die Leistbarkeit von Wohneigentum kritisch bewertet. Abschließend gibt der Experte wertvolle Ratschläge für jene, die in diesen turbulenten Zeiten Eigentum erwerben möchten.
Ist die grundsätzliche Nachfrage nach zusätzlichem Wohnraum auch weiterhin gegeben?
Ja und nein. Grundsätzlich lässt der demografische Rückenwind für den österreichischen Immobilienmarkt zwar nach, ist aber weiterhin vorhanden. Österreich wird in den nächsten zehn Jahren weiter wachsen, wenn auch langsamer als in den letzten zehn. Der fundamentale, sprich demografisch bedingte Bedarf an zusätzlichem Wohnraum ist damit gegeben. Doch diese Nachfrage nach zusätzlichem Wohnraum ist regional sehr unterschiedlich verteilt – auch innerhalb der Bundesländer. So gibt es beispielsweise in Wien samt niederösterreichischem Umland schon jetzt zu wenige Wohneinheiten. Ein Umstand, von dem aber im Norden Niederösterreichs keine Rede sein kann. Denn wenn Bezirke schrumpfen, herrscht kein Mangel, sondern ein Überangebot an Wohnraum.
Wann und warum ist die aktuelle Wohnbaukrise zu einer Leistbarkeitskrise geworden?
Die „Leistbarkeit“ – oder besser gesagt die Unleistbarkeit – von Wohneigentum ist ja schon lange vor der Zinswende des Jahres 2022 ein heiß diskutiertes Thema gewesen. Allein, die Preise sind trotzdem munter weitergestiegen. Und das hat einen einfachen Grund: Denn im Gleichklang mit den kontinuierlichen Preisanstiegen haben wir sinkende Zinsen gesehen. Die Folge: Bei kreditfinanziertem Eigentumserwerb sind die monatlichen Kreditraten trotz gestiegener Kaufpreise in den Jahren vor der Zinswende kaum angestiegen und lagen jahrelang bei etwa einem Drittel des Haushaltseinkommens. Das hat sich aber natürlich seit Mitte 2022 geändert. Zwischen Juli 2022 und September 2023 haben wir bekanntlich den schnellsten und kraftvollsten Zinserhöhungszyklus in der gar nicht mehr so jungen EZB-Geschichte gesehen. Das hat dazu geführt, dass ein Durchschnittshaushalt bei kreditfinanziertem Erwerb eines Einfamilienhauses normaler Größe im Vorjahr die Hälfte seines Einkommens für Zins und Tilgung hätte einplanen müssen. Dass die Nachfrage seitens der Privathaushalte 2023 eingebrochen ist, verwundert daher nicht. Erschwerend hinzu kommen noch die strengeren Kreditvergabestandards (KIM-V), die de-facto zeitgleich mit der Zinswende in Kraft getreten sind und für die Haushalte eine zusätzliche Hürde darstellen. Ich finde in der Leistbarkeitsdebatte müsse aber auch unbequeme Wahrheiten angesprochen werden. Denn das durchschnittliche österreichische Einfamilienhaus ist seit 2005 immerhin um 12 % größer geworden. 12 % mehr Wohnfläche bedeutet aber auch um 12 % höhere Kaufpreise. Leistbarkeit ist also auch eine frage der gestiegenen Wohnansprüche. Und vom Umweltaspekt – Stichwort Bodenversiegelung – reden wir hier noch gar nicht.
Inwiefern unterscheidet sich die aktuelle "Krisensituation" von der Finanz- und Immobilienkrise 2008?
Wichtige Frage. Was mich jetzt und in den Vorjahren immer geärgert hat, ist die Diskussion um eine vermeintliche Immobilienblase. Ja natürlich, wir blicken gerade auch in Österreich auf eine sehr lange Phase steigender Preise zurück. Mit seinen 18 Jahren war der 2022 zu Ende gegangene Immobilienzyklus sogar global betrachtet der „dienstälteste“. Aber der Preis alleine ist eben kein ausreichendes Kriterium, um die Frage zu beurteilen, ob eine Immobilienpreisentwicklung nachhaltig oder „auf Sand gebaut“ ist. Und so zeigen sich beim Blick unter die preisliche Oberfläche denn auch deutliche Unterschiede zwischen der Entwicklung in Österreich – aber auch in Europa insgesamt – und der Entwicklung in einigen Euroländern in den frühen Nullerjahren. So wies beispielsweise Irland auf dem Höhepunkt der Immobilienblase eine Immobilienverschuldung der privaten Haushalte von 65 % des BIP aus – in Österreich sind es hingegen nur gut 30 %. Auch der Wohnbausektor war in Irland deutlich überdimensioniert, in der Spitze stand dieser für fast 14 % der Wirtschaftsleistung. So stark kann die Bevölkerung gar nicht wachsen, um hier von einem fundamental gerechtfertigten Bedarf sprechen zu können. Auch hier eine gänzlich andere Situation in Österreich. Lange Rede, kurzer Sinn: Der Blick unter die preisliche Oberfläche zeigt deutliche Unterschiede zwischen Österreich heute und den Immobilienblasen der frühen Nullerjahre, die mit der Finanzkrise geplatzt sind wie die Seifenblasen.
Was ist Ihre Meinung zum kürzlich präsentieren „Milliarden-Wohnpaket“ der Bundesregierung und warum hat man Ihrer Meinung nach nicht bei der Förderung der Bauwirtschaft bzw. den Immobilienanlegern angesetzt?
Grundsätzlich stehe ich dem Maßnahmenpaket positiv gegenüber. Die Wohnbaukrise ist im Kern eine Leistbarkeitskrise. Es ist daher richtig, dass viele der Maßnahmen nicht direkt in der Bauwirtschaft ansetzen, sondern darauf abzielen, Wohneigentum wieder leistbarer zu machen. Natürlich kann eingewendet werden, dass derartige staatliche Maßnahmen der Geldpolitik zuwiderlaufen. Denn wenn die Zinsbeschlüsse aus Frankfurt durch Gesetzesbeschlüsse aus Wien, Berlin oder Paris ausgehebelt werden, wird die Inflationsbekämpfung für die Notenbanker nicht gerade einfacher. Ich denke hier an die zinsgünstigen Wohnbaudarlehen. Doch in diesem Fall muss sehr wohl differenziert und letztendlich abgewogen werden. Denn es geht nicht darum, einen Boom noch künstlich zu verlängern. Vielmehr ist es das Ziel, die sich abzeichnende Angebotsknappheit nicht noch ausgeprägter ausfallen zu lassen.
Wie stark wird sich die Leistbarkeit durch die Regierungsmaßnahmen tatsächlich verbessern?
Die Deckelung der Nebenkosten entlastet zwar beim erforderlichen Eigenmittelanteil. Das große Problem derzeit sind aber insbesondere die monatlichen Kreditraten. Die zinsgünstigen Wohnbaukredite bringen daher wohl die größte Entlastung in Sachen Leistbarkeit und können hier definitiv einen Unterschied machen – und das gerade auch im laufenden Jahr 2024. Denn Zinssenkungen im weiteren Jahresverlauf hin oder her: Der zinsseitige Gegenwind für die Kreditnehmer bleibt heuer trotzdem beträchtlich.
Was raten Sie Personen, die aktuell ein Eigenheim erwerben möchten?
Insbesondere für junge Personen gab es sicherlich schon einfachere Zeiten, Eigentum zu erwerben. Vom oftmals geäußerten Argument, wonach die Zinsen früher ja noch viel höher waren und es sich mit den eigenen vier Wänden trotzdem ausging, halte ich wenig. Denn Anfang der 90er waren eben nicht nur die Zinsen noch höher, sondern auch die Immobilienpreise viel niedriger.
Unterm Strich war und ist die Leistbarkeitssituation derzeit so angespannt wie fast nie zuvor in den letzten Jahrzehnten. Dennoch sollte man das Ziel nicht aus den Augen verlieren, auch wenn das zusätzliche Kompromisse hinsichtlich Größe, Lage und Ausstattung notwendig macht. Denn gerade auch mit Blick auf die Sicherung des Lebensstandards im Alter sind die eigenen und irgendwann abbezahlten vier Wände von großer Bedeutung. Dass es europaweit kaum ein anderes Land gibt, in dem noch weniger Haushalte in den eigenen vier Wänden wohnen, ist daher auch vor diesem Hintergrund problematisch.
Wir bedanken uns für die spannende Analyse der aktuellen Situation und wünschen weiterhin alles Gute.